SEBASTIAN CASTELLIO
Tagung 2015: Castellio auf dem Monte Verità

"Castellio-Tagung September 2015"

Internationale Tagung „Sebastian Castellio (1515-1563) – zwischen Humanismus und Reformation, Rationalismus und Spiritualismus“ (13.-16. September 2015)
Bericht über den internationalen Kongress
Anlässlich der internationalen Tagung / Anregungen für die Podiumsdiskussion

 

manuscript

Autograph UB Basel, Handschriftenabteilung, Jorislade.erstmals gedruckt in: Dialogi IIII, hg. von Felix Turpio (i.e. Fausto Sozzini). Aresdorffii (i.e. Basel: Pietro Perna) 1578

Die internationale Tagung zu Sebastian Castellio aus Anlass seines 500. Geburtstags (Ort: Monte Verità/ Ascona, CH; Datum: 13.-16. September 2015) richtet sich über den Kreis von Experten hinaus an eine grössere Öffentlichkeit, weil die Forderung nach religiöser Toleranz und Gewissensfreiheit ein Zentralthema in Castellios Schriften ist.

Die internationale Tagung zu Sebastian Castellio aus Anlass seines 500. Geburtstags (Ort: Monte Verità/ Ascona, CH; Datum: 13.-16. September 2015) richtet sich über den Kreis von Experten hinaus an eine grössere Öffentlichkeit, weil die Forderung nach religiöser Toleranz und Gewissensfreiheit ein Zentralthema in Castellios Schriften ist.

Die von Castellio initiierte Anthologie über die Ketzertötung „Über Ketzer, ob man sie verfolgen soll“ (1554) wird in Stefan Zweigs historischem Roman Ein Gewissen gegen die Gewalt (1936) als „Manifest der Toleranz“ charakterisiert.

Castellio war mit seinem kühnen Protest gegen die Tötung von Ketzern 1554 seiner Zeit voraus. Die Handels- und Universitätsstadt Basel bot ihm und anderen Intellektuellen, die aus Italien, Frankreich und den Niederlanden wegen religiöser Verfolgung geflohen waren, ideale Voraussetzungen für die Verbreitung non-konformistischer Ideen. Die Integration von Glaubensflüchtlingen, die wegen ihres religiösen Non-Konformismus auffielen und das Recht auf Meinungs- und Diskussionsfreiheit beanspruchten, war für den Basler Magistrat (zur Zeit Castellios v.a. seinen Förderer Bonifacius Amerbach [1495-1562]) und die Basler Kirchenleitung (Simon Sulzer [1508-1585]) eine ähnliche Herausforderung wie die Eingliederung von Migranten und Asylanten für die Kantone und Schweizer Städte heute.

Wer aktuelle Kontroversen über Religion und Gewalt verfolgt, ist gut beraten, in der Geschichte der Reformationszeit nach Analogien zur Tradition des Reformislam zu suchen und Castellios Kritik an der Theokratie in Genf und Zürich neu zu erwägen. Die Hinrichtung von Täufern seit den 1520er Jahren und die cause célèbre des Genfer Michel Servet-Prozesses 1553 haben unter reformierten Eidgenossen Kontroversen über die „Grenzen der Toleranz“ ausgelöst. Diese Kontroversen zogen weite Kreise bis nach England und den Niederlanden. Castellios theonome Begründung religiöser Toleranz zeichnet einen Weg in die Moderne vor, der eine Alternative zum laizistischen Staatsverständnis Frankreichs darstellen könnte. Dieses impliziert Indifferenz gegenüber jedweder Religionsgemeinschaft. Indifferenz ist aber nicht gleich Toleranz, insofern sie divergierende religiöse Geltungsansprüche ignoriert.

Wer Castellios Auseinandersetzung mit Jean Calvin (1509-1564) und Théodore de Bèze (1519-1605), Heinrich Bullinger (1504-1575) und den französischen Politiques (Etienne Pasquier [1529-1615], Michel de l’Hôpital [um 1506-15573]) liest, dem drängen sich Analogien zu aktuellen Diskussionen um Reformen im Islam und seiner politischen Theologie auf. Reformdiskussionen, die im Islam seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geführt werden, arbeiten mit Argumenten, die denen der Reformationszeit ähneln. Als Beispiel sei Muhammad Abduh (1849-1905) genannt (vgl. Gunnar Hasselblatt: Herkunft und Auswirkungen der Apologetik Muhammed Abduh’s, untersucht an seiner Schrift: Islam und Christentum im Verhältnis zu Wissenschaft und Zivilisation. Göttingen 1968 und Katajun Amirpur: Den Islam neu denken. München 2013, S. 18-22; zum 20. Jahrhundert vgl. Katajun Amirpur/ Ludwig Amman (Hg.): Der Islam am Wendepunkt. Liberale und konservative Reformer einer Weltreligion. Freiburg/Basel/Wien 2006, Einleitung der Herausgeber). Castellios Appell zum Gewaltverzicht ist hochmodern, denn er impliziert die Anerkennung moralischer Grundregeln, wie sie später in Naturrechtslehren und in der Deklaration der Menschenrechte formuliert worden sind.

Nach Castellios Verständnis ist das Töten eines ‚Gotteslästerers’ nichts als der Mord an einem Menschen, der nach damaligem Strafrecht kein Verbrechen begangen und daher nach damaligem Strafrecht auch nicht den Tod verdient hat. Castellio sieht die Grenze religiöser Toleranz jedoch dort, wo religiöse Fundamentalisten ihre Vorstellungen mit Gewalt durchsetzen und strafwürdige Verbrechen begehen.

Auch Castellios übrige, z.T. wenig bekannte Schriften argumentieren in der Zeit der Religionskriege in Frankreich und den Niederlanden für religiöse Toleranz, Willensfreiheit und Gerechtigkeit. Sie stellen eine Lösung, wie Religionsgemeinschaften unter dem Dach eines Staates sich behaupten könnten, zur Diskussion, die sich vom reichsrechtlichen Augsburger Religionsfrieden 1555 unterschied.

Die Tagung soll Castellios Denken besser bekannt machen, seine Bedeutung für die Gegenwart diskutieren und moderne Textausgaben anregen.