SEBASTIAN CASTELLIO

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Tagungsbeschreibung

„Sebastian Castellio (1515-1563) – zwischen Humanismus und Reformation, Rationalismus und Spiritualismus“

Internationale Tagung in Monte Verità, Ascona (CH) 13 – 16 September 2015

Lateinische Bibelübersetzung (Frankfurt am Main 1697) mit dem frühesten fiktiven Porträt Castellios (UB Basel: FG IV 59), vgl. Guggisberg 1997, Abb. 3.

2015 wäre Sebastian Castellio 500 Jahre alt geworden. Er trat mit lateinischen Gedichten erstmals an die Öffentlichkeit, schrieb ein populäres Lehrbuch für den Anfänger-Lateinunterricht (Dialogi sacri, erstmals 1545). Mit einer Übersetzung der Bibel in die Sprache Ciceros, die bis Ende des 18. Jahrhunderts häufig nachgedruckt wurde, erntete er bei protestantischen und römisch-katholischen Schulmännern Lob (Biblia latina, erstmals 1551). Er übertrug die Bibel auch in die französische Volkssprache. Höchstwahrscheinlich zusammen mit einigen gleichgesinnten Glaubensflüchtlingen kritisierte Castellio in einer anonym im März 1554 publizierten Anthologie De haereticis an sint persequendi (Über Ketzer und ob man sie verfolgen soll) die Theokratiemodelle Calvins und Bullingers und verurteilte die Hinrichtung Michel Servets, der am 27. Oktober vor den Toren der reformierten Stadt Genf verbrannt worden war. Danach konnte Castellio wegen eines Publikationsverbots nur noch wenige Schriften in Druck bringen, schon gar nicht seine Entgegnungen auf die Angriffe Calvins und Théodore de Bèzes, die in ihm den Autor von De haereticis vermuteten. Castellios einfluss- und wirkungsreichste Spätschrift war sein Conseil à la France désolée (1562). Ihre Argumentation für eine Koexistenz der verfeindeten konfessionellen Parteien unter der Ägide des unparteilichen Königs ähnelt derjenigen Michel de l’Hôpitals und Etienne Pasquiers; alle drei Dokumente stehen unter dem traumatischen Eindruck des gescheiterten Religionsgesprächs von Poissy. Castellios Übersetzungen ins Lateinische zeugen von einem weiten Horizont und Mut zum Risiko (z.B. von Bernardino Ochino: Dialogi triginta. Basel 1563). Die Dialogi quatuor, die 1578 mit kleineren theologischen Texten aus Castellios Nachlass von Fausto Sozzini herausgegeben wurden, sind als das philosophische Hauptwerk Castellios anzusehen. Sie wurden 1612 und 1696 erneut wieder aufgelegt. In De arte dubitandi et confidendi, ignorandi et sciendi bemühte sich Castellio in seinen letzten Lebensjahren um eine Summe seiner Bibelhermeneutik, die jedoch nicht mehr zum Abschluss kam und erst 1981 in einer kritischen Ausgabe, herausgegeben von Elisabeth Feist Hirsch, erschien. Castellios Anthologie über die Ketzertötung wird in der Essener Neuausgabe (hg. von Wolfgang F. Stammler und Uwe Plath, Essen 2013) mit Stefan Zweigs Worten als „Manifest der Toleranz“ gewürdigt. Die Anthologie habe den Nachruhm des Basler Griechisch-Professors begründet, wiewohl allerdings nicht sicher ist, ob Castellio die Textsammlung tatsächlich allein und nicht in einem Autorenkollektiv zusammengestellt hat. Seine erst postum gedruckten Schriften stehen zu Unrecht im Schatten dieser Anthologie, vertiefen aber deren Leitthemen (Toleranz, Willensfreiheit, Gottes Gerechtigkeit).

Wer aktuelle Kontroversen über Religion und Gewalt, die gesellschaftliche Integration religiöser Fundamentalisten und Prävention von ‚Terror im Namen der Religion‘ analysiert und sich einmischen will, dem möchten wir empfehlen, in der Geschichte der Reformationszeit nach Analogien zur Tradition des Reformislam zu suchen und die von Basilius Montfort alias Sebastian Castellio in De haereticis erarbeitete Alternative zur Theokratie und einem theologischen Strafrecht neu zu erwägen (Katajun Amirpur/ Ludwig Amman (Hg.): Der Islam am Wendepunkt. Liberale und konservative Reformer einer Weltreligion. Freiburg/Basel/Wien 2006, Einleitung der Herausgeber, S. 12-15; Katajun Amirpur: Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte. München 2013, S. 18-34). Schon die Hinrichtung von Täufern seit den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts, aber vor allem die cause célèbre des Genfer Servet-Prozesses haben unter Protestanten, die doch in ihrem Selbstverständnis durch das ‚Feindbild’ des römischen Papsttums geeint waren, Kontroversen über die „Grenzen der Toleranz“ ausgelöst (vgl. Rainer Forst: Toleranz im Konflikt. Geschichte, Gestalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs. Frankfurt 2003, Einleitung).

Wer staats- und rechtstheoretische Schriften im Umkreis Castellios und seine Auseinandersetzung mit Jean Calvin, Heinrich Bullinger und den französischen Politiques liest, wird von der Modernität von Castellios Argumenten gegen eine Theokratie überrascht sein. Die Kontrolle der Gewissen der Gläubigen durch Geistliche, der sich auch die weltliche Obrigkeit zu beugen hätte, birgt nach Castellio die Gefahr totalitärer Willkür und dürfe keineswegs mit biblischen Präzedenzfällen begründet werden. Wahrscheinlich liessen sich für Castellios rechtstheoretische Widerlegung der Argumente Bullingers für die Zürcher Theokratie und für die Legitimität der Ketzertötung auch Analogien in modernen Naturrechts- und Staatstheorien, eventuell auch in den Staatsideen von Vertretern des Reformislam, finden. In Martin Bellius’ alias Castellios Sinn ist das Töten eines angeblichen Ungläubigen oder Gotteslästerers nichts als der Mord an einem Menschen, der nach französischem Strafrecht und europäisch-westlichem Demokratieverständnis kein Verbrechen begangen hat, deswegen auch nicht zur Rechenschaft zu ziehen ist. Castellio sieht die Grenze religiöser Toleranz dort, wo Dissidenten oder religiöse Fanatiker ihre Vorstellungen mit Gewalt durchsetzen und strafwürdige Verbrechen begehen.

Es ist also an der Zeit, De haereticis an sint persequendi und die übrigen Werke des humanistischen Laientheologen Castellio neu zu betrachten, über sein Verhältnis zu den grossen Reformatoren im Rahmen einer Veranstaltung der Reihe „REFO 500“ zu diskutieren und Castellios Wirken in Basel mit dem anderen Dissidenten im post-reformatorischen Zeitalter zu vergleichen – und nicht nur das: sondern auch die Aktualität seiner Toleranzargumentation für die Gegenwart zu reflektieren. Dazu wird im September 2015 auf der internationalen Tagung „Sebastian Castellio zwischen Humanismus und Reformation, Rationalismus und Spiritualismus“ Gelegenheit sein.

Monte Verità und Blick auf den See Lago Maggiore

Das Congressi Stefano Franscini (CSF), die internationale Konferenz-Plattform der ETH Zürich, bietet uns die Möglichkeit, über Sebastian Castellio, sein Denken und seine Wirkung vom 13. bis 16. September 2015 auf dem Monte Verità (bei Ascona, CH) zu diskutieren. Der Austragungsort der CSF Konferenzen ist das Hotel und Konferenz-Zentrum Monte Verità, welcher von der gleichnamigen Stiftung getragen wird.
Der Monte Verità oberhalb des Lago Maggiore ist ein ganz besonderer Tagungsort und hat als legendärer „Kraftort“ einzigartige Sehenswürdigkeiten zu bieten.

Zur Diskussion gestellt werden sollen Referate zu Castellio, seinem Beziehungsnetz in Basel und anderen eidgenössischen Städten sowie in Frankreich, zur Verbreitung seiner Schriften, zur Überlieferungsgeschichte handschriftlicher Quellen und zur Wirkungsgeschichte seiner Hauptwerke, auch der philosophischen Dialogi quatuor aus dem Nachlass (o.O.[Basel] 1578). Eine Podiumsdiskussion wird Castellios Toleranzkonzept mit anderen Vorstellungen von religiöser Toleranz aus der Geschichte des Christentums, Judentums und des Islam konfrontieren.

Die Themenschwerpunkte der Tagung ergeben sich aufgrund der neuesten Forschungen und zielen auf Diskussionen offener Fragen. Als Schulbuchautor, Bibeldichter und Bibelübersetzer trat Castellio in die Fußstapfen des Erasmus von Rotterdam. Peter G. Bietenholz hält es für wahrscheinlich, daß Castellio von Erasmus’ Evangelienparaphrasen zu seiner Begründung religiöser Toleranz angeregt wurde (Peter G. Bietenholz: Encounters with a Radical Erasmus. Erasmus as a Source of radical thought in early modern Europe. Toronto 2009, S. 195-208). Erasmus ist ein wichtiger Zeuge in Castellios Anthologie De haereticis an sint persequendi, weil seine Auseinandersetzung mit den Löwener und Pariser Theologen offenbart, dass auch ein erklärter Freund der römischen Kirche wegen Heterodoxie in Verdacht geraten konnte und deswegen die religiöse Intoleranz und Ignoranz seiner Gegner angeprangert hat. Die Tatsache, dass die Dialogi sacri und die Biblia latina bis Ende des 18. Jahrhunderts als Schulausgaben von deutschen Verlagen nachgedruckt wurden und nachweislich in Bibliotheken katholischer wie auch lutherisch-protestantischer Schulen zu finden waren, legt die Vermutung nahe, daß Castellio von Schulmännern als Erbe oder Nachfahre des Rotterdamer Humanisten angesehen wurde.

Wer die Aufmerksamkeit auf die Wirkungsgeschichte von De haereticis an sint persequendi, von Fausto Sozzinis (1539-1604) postumer Ausgabe der Dialogi quatuor und von Castellios Bibel-Hermeneutik De arte dubitandi richtet, wird die besonders rege Rezeption Castellios unter Arminianern in den Niederlanden feststellen. Die Tagung soll auch dazu dienen, den Austausch zwischen niederländischen und angelsächsischen Kirchenhistorikern, Täuferforschern und Castellio-Spezialisten aus der Schweiz, Italien, Canada und Frankreich zu intensivieren.

Konferenzsprachen sind ausser Deutsch auch Französisch und Englisch. Anreisetag ist Sonntag, 13. September. Der Kongress dauert bis Mittwoch, den 16. September nachmittags.

Anmeldung für die Tagung „Sebastian Castellio“ (13.-16. September 2015)